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Amtsgericht Kaufbeuren urteilt über Sex-Video, das schon mehrere Gerichte beschäftigte

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Von: Felix Gattinger

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Korridor Amtsgericht Kaufbeuren 2023
Dunkle Ecken und rechtliche Graubereiche – Gerichtsurteile sollten idealerweise auch das mehrheitliche Rechtsempfinden der Gesellschaft widerspiegeln. © Foto: Gattinger

Kaufbeuren – Nur 14 Sekunden dauert das Video, das am vergangenen Mittwoch das Amtsgericht Kaufbeuren für mehr als drei Stunden beschäftigte. In Ermittlerkreisen sei das Machwerk bereits seit Jahren bekannt, gibt ein Kriminalbeamter im Zeugenstand zu Protokoll. Immer wieder tauche es in den sozialen Netzwerken auf und werde dort von zahlreichen Usern „als Jux“ geteilt. – Als „grenzwertig, moralisch verwerflich und ekelerregend“ bezeichnete es die mit der Strafsache betraute Richterin. Sie könne gar nicht verstehen, dass ein erwachsener Mensch darauf kommt, so etwas zu teilen. Dennoch sprach sie den 27-jährigen Mann aus Kroatien, der der Verbreitung kinderpornographischer Inhalte angeklagt war, frei.

Zu sehen ist auf dem Video ein offenbar minderjähriger Junge zwischen sechs und neun Jahren (Einschätzung der Staatsanwältin), der seinen erigierten Penis in ein lebendiges Huhn steckt. Als das Huhn schreit, lässt der Junge es los, schiebt den Penis in die Hose zurück, lacht auf und imitiert dabei die Stoßbewegungen mit der Hüfte.

Der Angeklagte bestritt, das Video zu kennen und es im Netz geteilt zu haben. Darüber hinaus sei er nicht pädophil veranlagt. Er habe zum Tatzeitpunkt im vergangenen August als Gartenbauer zusammen mit mehreren Saisonarbeitskräften in einer Arbeiterunterkunft gelebt und dort aus beruflichen Gründen ein Handy mit deutscher SIM-Karte benutzt, das – genau wie seine Media-Accounts – nicht passwortgeschützt gewesen sei. Am fraglichen Tag und auch sonst hätten es also auch andere Bewohner der Unterkunft ohne sein Wissen nutzen und damit auch das anrüchige Video verbreiten können. Auch sein Bruder habe in dieser Zeit dort gewohnt. Diesem habe er ab und zu das Handy zum Telefonieren gegeben. Der als Zeuge geladene Bruder gab daraufhin zu, in jener Zeit in der Unterkunft gewohnt, und sich das Handy auch ausgeliehen zu haben, um mit dem gemeinsamen Vater zu telefonieren. Er selbst habe damals kein Handy besessen. In den sozialen Medien sei er entsprechend auch nicht unterwegs gewesen.

Der an den Ermittlungen beteiligte Kriminalbeamte, der das Handy und den Laptop des Angeklagten beschlagnahmt und beides zur Untersuchung gegeben hatte, gab zu Protokoll, dass man keine Hinweise gefunden habe, die darauf hindeuteten, dass das Handy von mehreren Personen genutzt worden sei.

Aufgrund dieser Aussage und nach Aktenlage wertete die Staatsanwältin die Einlassungen des Angeklagten als „Schutzbehauptung“ um den Kreis der Verdächtigen zu vergrößern. Sie forderte in ihrem Plädoyer eine Haftstrafe von einem Jahr und fünf Monaten, die möglicherweise vom Gericht auf Bewährung ausgesetzt werden könnte.

Dem widersprach der Verteidiger des Angeklagten, der Augsburger Rechtsanwalt Dalibor Cvetkovic. Seiner Auffassung nach sei die damalige Verbreitung des Videos durch Andere keineswegs ausgeschlossen, daher gelte in dubio pro reo, was einen Freispruch zur Folge haben müsse.

Bereits in der Vergangenheit, so der Anwalt weiter, hätten die Teilnehmenden der Justizministerkonferenz Kritik an der Schärfe des Paragraphen 184b– Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornographischer Inhalte – geübt und dem Gesetzgeber eine Entschärfung des Strafmaßes oder die Einführung eines minderschweren Tatbestandes nahegelegt. Zusammen mit anderen Videos hätten mehrere Amtsrichter auch dieses Video dem Bundesverfassungsgericht zur Normenkontrolle angetragen. Eine Entscheidung von dieser Seite habe es aus verfahrensrechtlichen Gründen jedoch bis dato nicht gegeben, bedauerte der Anwalt.

Des Weiteren bezweifelte Cvetkovic den pornographischen Gehalt des Videos. Der Paragraph 184b impliziere, dass eine sexuelle Handlung vorliegt, die ausschließlich, mindestens aber überwiegend auf die sexuelle Erregung des Betrachters abzielt.

Dieser Einschätzung folgte auch die Richterin mit den beiden Schöffen. Eine sexuelle Handlung sei zwar klar gegeben, doch sei das Gericht keineswegs davon überzeugt, dass die Darstellungsweise der Handlung überwiegend auf die Erregung sexueller Bedürfnisse ausgerichtet sei. Die Verbreitung geschmackloser und scheußlicher Inhalte, so die Richterin, sei moralisch absolut zu verwerfen, aber nicht in diesem strafrechtlichen Sinn.

Kommentar von Felix Gattinger

Wo hört der Spaß auf?

Gerichtsurteile enthalten immer eine Auslegung der Rechtsnorm. Akzeptiert von der Bevölkerung werden sie aber nur, wenn sie auch dem Rechtsempfinden einer Mehrheit entsprechen. Doch je schneller die Welt sich dreht und mit ihr der Fortschritt, desto schneller wandelt sich das moralische Empfinden. Was früher als pornographisch galt, ist heute oft nur noch peinlich oder ekelhaft. Synchron betrachtet wird es unsere Gesellschaft polarisieren. Wie können wir dem entgegenwirken? 

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