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Windkraft: Wie viele Anlagen verträgt Bayern – und sind die Rotoren wirklich Vogelkiller?

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Von: Dirk Walter

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Windrad und Solaranlage
Blick auf Windräder und eine Solaranlage in Unterfranken. © Karl-Josef Hildenbrand/dpa/Symbolbild

Die Windkraft ist ein großes Streitthema in Bayerns Politik. Wir beantworten sieben wichtige Fragen rund um die Räder und die Abstandsregel 10H.

München - 10H und kein Ende: Der Streit um die Windkraft in Bayern hat Windstärke 10 erreicht. Aber wie viele Windräder können in Bayern neu gebaut werden? Gibt es genug Wind? Und wie umweltschädlich ist die Entsorgung alter Anlagen? Wir versuchen, diese Fragen zu klären.

Wie viele Windräder gibt es in Bayern?

In Bayern drehen sich laut Bundesverband WindEnergie (BWE) 1272 Windkraftanlagen mit einer installierten Leistung von 2559 Megawatt (2,5 Gigawatt). Die meisten Windräder stehen in Franken (840), die wenigsten in Oberbayern (114) und Niederbayern (60). Zum Vergleich: In Deutschland insgesamt sind es 31 109 Anlagen (1500 auf Nord-/Ostsee) mit 62,7 Gigawatt Gesamtleistung. Die bayerischen Windräder tragen 6,4 Prozent zur in Bayern jährlich erzeugten Strommenge bei: 4,9 von insgesamt 75,7 Terawattstunden (TWh). Zum Vergleich: Das zum Jahresende stillgelegte Atomkraftwerk Gundremmingen erzeugte zwölf TWh jährlich.

Ist Bayern für die Windkraft geeignet?

„Im Norden ist der Wind besser, im Süden die Sonne“, sagte Ministerpräsident Markus Söder kürzlich. Die Annahme ist weit verbreitet: Die Windkraft ist in Bayern ein laues Lüftchen – weil halt wenig Wind weht. Folglich müssen die Anlagen in Bayern höher sein, oft doppelt so hoch wie in Norddeutschland, wo es viele Windräder mit 100 Metern Höhe gibt. Neue Erkenntnisse zum Windkraftpotenzial liefert der 2021 veröffentlichte Bayerische Windatlas des Wirtschaftsministeriums. Bei einer Höhe von 160 Metern „stechen einige Landschaftsräume mit sehr guten Windverhältnissen hervor und können durchaus mit norddeutschen Standorten mithalten“. Das sind die Rhön und das thüringisch-fränkische Mittelgebirge. Ebenfalls gute Werte erreichen das sogenannte unterbayerische Hügelland, die Isar-Inn-Schotterplatten und die Donau-Iller-Lech-Platten. Im Klartext: Die Windenergie wird – mit Ausnahmen – ungefähr nördlich von Starnberg, München und Ebersberg wirtschaftlich. Der Verband VBEW relativiert das oft zitierte Phänomen der langen Dunkelflaute: „Eine wichtige Eigenschaft der Windkraft liegt darin, dass Wind häufig bei ,schlechtem‘ Wetter und in der kalten und dunklen Jahreszeit verfügbar ist.“

Wie viele Anlagen sollen in Bayern gebaut werden?

Die Angaben schwanken stark. Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (FW) hält mehrere hundert Anlagen zusätzlich für realistisch. Es gebe 300 geeignete Standorte allein in Wäldern, „in denen ohne große Probleme teils mehrere Windkraftanlagen gebaut werden können“, sagte er im Oktober. Dezidierte Windkraft-Befürworter wie Richard Mergner, Landeschef des Bund Naturschutz, sind forscher: In Bayern seien 6000 bis 10 000 neue Windkrafträder notwendig, um die Leistung auf 32 Gigawatt zu erhöhen. Rechnerisch wären das 120 Windräder je Landkreis, sagte er im Interview mit unserer Zeitung. Eine Mittlerposition bezieht der Verband der Bayerischen Energie- und Wasserwirtschaft (VBEW), dem unter anderem bayerische Stadtwerke angehören, in einem diese Woche vorgelegten Positionspapier: Notwendig seien 13 Gigawatt bis 2040, also das Fünffache von heute, sagt Geschäftsführer Detlef Fischer. Sie könnten mit 26 TWh ein Drittel des heutigen Stromverbrauchs erzeugen. „Jedes Jahr sind dafür 100 neue Anlagen mit einer Leistung von je fünf Megawatt notwendig“, bis 2040 also 2000 zusätzliche Anlagen.

Wo sollen die Anlagen konkret entstehen?

Bayern ist in 18 Planungsregionen gegliedert, für jede gibt es einen Regionalplan, in dem auch potenzielle Windkraft-Standorte genannt werden. Derzeit sind es 366 Quadratkilometer. Detlef Fischer vom VBEW hält das aber für zu wenig. Würde Bayern das von der Ampel-Koalition verfolgte Ziel umsetzen, zwei Prozent der Landesfläche als potenzielle Windkraftstandorte auszuweisen, wären das 1400 Quadratkilometer – also fast das Vierfache. Ein Blick in einzelne Landkreise – zum Beispiel Fürstenfeldbruck: Dort gibt es nur zwei Windräder. „Fünf neue Anlagen wären machbar, vielleicht auch mehr“, sagt Gottfried Obermair, Geschäftsführer des Energieberatungsvereins „Ziel 21“. Drei der Standorte sind schon im Detail untersucht – wo, will Obermair aus Sorge vor Bürgerprotesten nicht sagen. In fast jedem Landkreis gibt es Pläne für weitere Anlagen.

Welche Hemmnisse gibt es im Moment?

Die bayerische Abstandsregel 10H – nach der ein Windrad einen Mindestabstand vom Zehnfachen seiner Höhe zur Wohnbebauung einhalten muss – ist bei Weitem nicht die einzige Hürde beim Bau der Anlagen. Gottfried Obermair vom Fürstenfeldbrucker Verein Ziel 21 zählt auf, was zu beachten ist: der militärische Funkverkehr; der Denkmalschutz; der Artenschutz. „Schon die Suche nach Fachleuten, die die Arten im Umkreis der Anlage kartieren, ist schwierig“, sagt Obermair. Auch Investoren muss man erst mal finden. Oft sind es die örtlichen Stadtwerke. Der Bund Naturschutz wirbt für Bürgerenergiegenossenschaften, um zu verhindern, dass Windräder nur durch Konzerne betrieben werden.

Sind Windräder wirklich schuld am Vogeltod?

Der Landesbund für Vogelschutz (LBV) befürwortet den Ausbau der Windenergie. Das klingt seltsam – schließlich gelten Windräder als Vogelkiller. Ein Grund ist, dass Vögel die Geschwindigkeit der Rotorblätter (bis zu 300 km/h an der Spitze) nicht einschätzen können. Andreas von Lindeiner, Artenschutzreferent des LBV, wirbt jedoch für eine differenzierte Betrachtung. „Es gibt keine schlechten Windräder, es gibt jedoch schlechte Standorte.“ Wichtig sei es, Abstandsempfehlungen der staatlichen Vogelschutzwarten zu beachten. Die sogenannten Schlagopfer werden gezählt – das übernimmt die Vogelschutzwarte Brandenburg zentral für Deutschland. Demnach gab es bisher 637 getötete Rotmilane (bei bis zu 16 000 Brutpaaren in Deutschland) sowie 685 getötete Mäusebussarde (bis zu 115 000 Brutpaare). Das sind aber nur die gemeldeten Exemplare – eine Dunkelziffer ist anzunehmen. Der Energieverband VBEW hält die Verluste für tragbar, solange nicht die Art gefährdet wird: „Ein Individualschutz für jeden einzelnen Vogel und jede Fledermaus wird nicht umsetzbar sein.“

Wie schädlich ist die Entsorgung alter Windräder?

2021 wurden in Deutschland 230 Anlagen stillgelegt, 155 davon waren älter als 20 Jahre. Fundamente, Türme und die Gondeln der Windräder gelten als gut recycelbar. Problematisch sind die Rotorblätter, die zum Großteil aus glasfaserverstärktem Kunststoff (GFK) bestehen. GFK kann Müllverbrennungsanlagen ruinieren, weil sich Stalaktiten aus Glas bilden. Die Firma Neocamp in Bremen vermischt geschredderte Rotorblätter mit anderem Abfall und verbrennt sie in einem Zementwerk – bisher nur ein Pilotprojekt. Ein weiteres Problem: Rotorblätter können Balsaholz enthalten, eine Tropenholzart. Befördern Windräder also den Raubbau in den Tropen? Windrad-Hersteller beharren hier auf ihrem Betriebsgeheimnis, so Enercon in Aurich/Ostfriedland, der auf Anfrage unserer Zeitung auf den Bundesverband WindEnergie BWE verwies. Dort bestätigt Sprecher Frank Grüneisen: Balsaholz sei leicht, flexibel und stabil. Allerdings sei es „häufig Mangelware“. Einige Hersteller verwenden statt Holz nun PU- oder PVC-Schaum. DIRK WALTER - *Merkur.de/bayern ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA

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