Das System des Flexibus basiert auf einem Rufbus, den der Fahrgast im Vorfeld zu einer bestimmten Haltstelle, etwa in einem Wohngebiet, dem Rathaus oder dem Bahnhof, bestellen kann. Anschließend kann man sich innerhalb des Knotens, der auf Waben aufgeteilt ist, zu einer anderen Haltestelle fahren lassen, der Fahrpreis von wenigen Euro berechnet sich aus der Zahl der durchfahrenen Waben; tatsächlich kostet jede Fahrt aber 24 Euro, so hoch ist das berechnete Defizit. Bis auf den am 1. April hinzugefügten Treffpunkt im Türkheimer Industriegebiet gibt es allerdings keine weiteren Überschneidungen zwischen den Knoten. Wer also von Bad Wörishofen nach Mindelheim möchte, muss dazu den Zug oder die normalen Busverbindungen nutzen. Für den Knoten Türkheim gibt es allerdings noch ein weiteres „Zugeständnis“: der Bus überquert die Landkreisgrenze und fährt auch den Bahnhof in Buchloe und das dortige Krankenhaus an.
Finanziert wird der Flexibus in einer Mischkalkulation durch den Betreiber, im Falle Türkheims die RBA, den Landkreis (22,5 Prozent) und den Freistaat Bayern, der allerdings seinen anfänglichen Anteil von 55 Prozent über einen Zeitraum von fünf Jahren reduziert; je nach Zahl der Einwohner entrichten auch die beteiligten Gemeinden einen Obolus. Der Löwenanteil kommt dabei Türkheim zu – nach den Prognosen waren das über 21.000 Euro. Auf Wiedergeltingen entfielen knapp 4.200 Euro, auf Amberg 4.300 Euro und Ettringen etwas über 10.000 Euro. In der Wiedergeltinger Gemeinderatssitzung pries Norbert Führer die Möglichkeiten des Bussystems. Er selber hätte es genutzt, um etwa zum Kreisfeuerwehrtag zu gelangen, die Jugend könne mit dem Bus zum Kino nach Türkheim fahren oder ins Eisstadion.
Angesichts des Defizites hatte der Betreiber nun beim Landratsamt um eine Tarifanpassung gebeten, die auf eine Verdoppelung der gemeindlichen Beiträge hinausliefe. Auch wenn man die nach unten angepassten Beiträge der Gemeinden voraussetzt, die sich an die tatsächlichen Fahrgastzahlen orientieren, müssten Wiedergeltingen 8.349 Euro und Türkheim knapp 20.000 Euro zahlen. Weshalb das Landratsamt einen eigenen Vorschlag ins Spiel gebracht hat, einen sogenannten Anpassungsdivisor. Dieser wird umso größer, je weniger Fahrgäste mitfahren bzw. kleiner, je mehr Menschen das Busangebot nutzen und ist genau eins (1), wenn die prognostizierten 7.550 Fahrgäste (oder mehr) erreicht werden.
Eine Entwicklung, die er habe kommen sehen, sagte der Zweite Bürgermeister Franz Haugg (Freie Wähler) in der Marktratssitzung unumwunden. Schon vor der Einführung des Flexibusses gab es in Türkheim heftige Diskussionen über das Rufbusangebot. Insbesondere die finanzielle Seite war seinerzeit im Fokus gestanden, „die nächsten fünf Jahre als quasi Probezeit“ geplant, wie der Wochen KURIER im Februar 2020 berichtete. „Danach werde man weitersehen, ob es sich rechnet oder nicht“, wurde Kähler seinerzeit zitiert. Doch nicht nur Haugg wiederholte seine Bedenken von einst, auch Michaela Vaitl-Scherer (Wählervereinigung Türkheim) erneuerte ihre Kritik (fehlender Mehrwert) und versagte ihre Zustimmung zur Tarifanpassung. Demgegenüber wollte Haugg dem Bussystem eine zweite Chance geben, allerdings nur noch im kommenden Jahr.
Auch die Dritte Bürgermeisterin hatte „Magenschmerzen“ bei der Diskussion, wie Gudrun Kissinger-Schneider zugab. Laut der Grünen-Gemeinderätin gebe es noch einige Ungereimtheiten und eine lange Liste von Mängeln, etwa bei der Smartphone-App, mit der man den Rufdienst nutzen kann. Sie schlug vor, man sollte die Resonanz aus der Infoveranstaltung am 2. Juni abwarten. Auch Marcus Jakwerth schlug in diese Kerbe. Zunächst einmal monierte der Geschäftsführer der U.W.E. dass auch die RBA ein gewisses unternehmerisches Risiko einkalkulieren müsse und nicht sofort nach einer Finanzspritze rufen könne. Mehr noch aber kritisierte Jakwerth den Umstand, dass der „Fahrdienst“ aus seiner Sicht übermotorisiert sei. Man sehe den Bus, einen MB Sprinter, zumeist stehen oder mit einem Fahrgast besetzt, zwischen den Haltepunkten fahren. Der Mercedes mit wahrscheinlich 180 PS schlucke wohl um die 15 Liter Diesel auf 100 Kilometer, fürchtet Jakwerth. Wäre es da nicht sinnvoller, einen kleineren und vor allem sparsameren Bus, einzusetzen, einen Toyota HiAce etwa, so der Nebenerwerbslandwirt, der sich mit Fahrzeugen auskennt.
Auch Bürgermeister Christian Kähler konnte in der Sitzung keine Antwort auf die Frage geben, warum ausgerechnet der Flexibus Türkheim-Wiedergeltingen nicht so angenommen werde wie andernorts. Es könnte, spekulierte der Türkheimer Rathauschef, mit der Startphase zusammenhängen, die nach wie vor durch die Pandemie und die damit verbundenen Einschränkungen gekennzeichnet war. In der Diskussion, bei der auf Nachfrage von Franz Haugg auch die jährliche Ausstiegsmöglichkeit angesprochen wurde, ging es im Tenor darum, ob der Flexibus überhaupt noch tragbar sei. Wahrscheinlich würde die RBA, so die Auffassung, im umgekehrten Finanzierungsfall sofort aus der Kooperation aussteigen. Auch das kommende Vierteljahr dürfte die Situation nicht entschärfen, gilt doch ab Juni bis Ende August das vom Steuerzahler finanzierte „9-Euro-Ticket“ für den Nahverkehr, mit dem die Bundesregierung eine Entlastung für die allseits gestiegenen Kosten schaffen wollte. Im Flexibus ist das „9-Euro-Ticket“ nämlich nicht gültig, wie der Flexibus auf seiner Homepage ausdrücklich betont.
Mit einer knappen Mehrheit (10:7) votierte der Marktrat für den Anpassungsdivisor und damit für Mehrkosten durch den Flexibus. Zudem wird man nun die Infoveranstaltung abwarten und will die Resonanz in der Bevölkerung sehen. Um das Thema Flexibus und die Möglichkeiten geht es am Donnerstag, 2. Juni, im Restaurant Olympia und Hotel Rosenbräu. Los geht es um 17.30 Uhr.
Oliver Sommer