Schon die rhythmisch extravagante Auftaktmusik des Akkordeonensembles „Just Air“ ließ vermuten, dass es hintersinnig würde und es nicht „nur (um heiße) Luft“ gehen sollte. Wie denn auch, wenn Horst Haitzinger, bis 2019 bundesweit tätiger und hochgeschätzter Karikaturist, als Gast angekündigt war, in dessen Anwesenheit eigentlich eine Ausstellung seiner Werke in der Archäologie-Museums-Abteilung, ja, genau, zwischen uralten Bodenfunden, alemannischem Damenschmuck und keltischen Regenbogenschüsselchen, im Museum eröffnet werden sollte.
Eine Win-Win-Situation hatte sich die pfiffige stellvertretende Museumsleiterin Friederike Haber ausgedacht und hielt damit nicht hinterm Berg: Wer wegen und zu Haitzinger kommt, kommt an Archäologie nicht vorbei - weder an den Exponaten im Südschwäbischen Archäologiemuseum, noch an des gebürtigen Oberösterreichers von Elementen der Antike geprägten humoristischen Zeichnungen. Haitzinger und den Leiter des Ruffenhofener Limeseums, Dr. Matthias Pausch, hat diese Gewieftheit so überzeugt, dass man dem Vorhaben zustimmte. Und nun kamen also – nach 2014 – wieder einmal Haitzingers Bilder und der Künstler selbst samt Frau und Tochter nach Mindelheim. Und dazu: der History-Profi Pausch samt einigen Fragen auf offener Bühne an den etwas über 80-jährigen mentalen Jungspund mit Unterhalterqualitäten, Schlagfertigkeit, Schalk und einer Präsenz, die dem Publikum samt der anwesenden Stadt- und Polit-Prominenz das Herz aufgehen ließ.
Über 60 Jahre gab es in deutschen Zeitungen und Journalen die, so Haber, „Tagesdosis Haitzinger“. Entstanden beim täglichen langen Frühstück, bei dem der Verfasser den Tages-Nachrichten am Radio lauschte, dann gegen 12.00 Uhr mit der zuständigen Redaktion des beauftragenden Mediums sprach, eineinhalb Stunden nachdachte und eineinhalb Stunden zeichnete, um gegen 15.00 Uhr bereits nachgefragt zu werden „wo denn die Zeichnung bleibe“. Von denen es schließlich 16.000 gab und davon 150 Originale nun in Mindelheim zu sehen. Sehen? Eine Karikatur will ergründet, entschlüsselt sein. Und dazu befragte Pausch, wohl ein Bruder im Geiste Haitzingers, den „Europa“- Künstler, den reflektierten Naturschützer, den Zeichner, dem Bild vor Text geht - was er bei seinem ersten Engagement beim legendären „Simplicissimus“ lernte -, den Ehemann, der seiner Frau „subtilere Methoden als das Nudelholz“ attestiert, den Humanisten, der von einer Hamburger Gymnasiallehrerin ermahnt wurde, die vormals von ihm meist nackt dargestellte Europa endlich zu bekleiden, was im Sinne der Homerschen Genauigkeit sei.
Die Fragen, die Pausch an Haitzinger richtete, sollten dessen „mehr persönliche Seiten“ zeigen. Und das gelang hinreißend; denn die beiden verstanden sich und es, daraus eine köstliche Unterhaltung zu machen, bei der Haitzinger ein wenig kokettierte mit seinem Alter, aber nicht mit einer großen Bescheidenheit.
Ein einfühlsames Gespräch wurde da geführt, untermalt im wahrsten Sinne des Wortes mit passend projizierten Karikaturen, die auch vor schwierigen Lagen nicht Halt machten. Wie etwa Flüchtlingskrise oder Terrorismus – Themen, bei welchen Haitzinger kurz schmallippig wurde. Er, der mit und von der tagespolitischen Zuspitzung lebte und, gefragt zu seiner Einschätzung der aktuellen Weltlage, fast bedrückt meinte: „Hier ist nichts mehr zu vereinfachen. Satire ist nicht das Medium, das diesen Ereignissen gerecht wird“
Doch Haitzinger wäre nicht Haitzinger und Pausch, dem Haber quasi diese Ausstellung aus Mittelfranken abgeluchst hatte, nicht ein guter Kommunikator, wenn man nicht gemeinsam die Kurve bekommen hätte, um sozusagen per trojanischem Pferd, also dem harmlos anmutenden Geschenk und damit einer „brauchbaren Metapher für viele politische Konstellationen“, so Haitzinger, wieder ins Heitere zurückzufinden.
Das Publikum amüsierte sich köstlich und spendete vergnügt Szenenapplaus. Auch animiert von der passgenauen Musik, mal Tango, mal Samba und: „Viva la vida“. „Lebe das Leben“ - wohl auch ein Motto für Haitzinger, der offen zugab, einen „wunden Punkt“ in Sachen Neuer Medien zu haben. Dem eine große Anhängerschaft und Presse aber verdanken, dass jeden Tag aufs Neue wunde Punkte in Politik, Welt und Gesellschaft mit treffenden Strichen einer geschickten Hand so geistreich auf Papier offenbar(t) wurden.
Die Ausstellung im Südschwäbischen Archäologiemuseum, Hermelestr. 4, Mindelheim, ist bis 21. Mai 2023 geöffnet: Dienstag – Sonntag von 10 bis 12 und 14 bis 17 Uhr.