Einzigartige Umstände: Nach 32 Jahren droht der EU wieder ein Nothaushalt - Ungarn und Polen zeigen keine Regung
Den letzten Nothaushalt in der EU gab es 1988. Im Jahr 2021 könnte dieses Szenario wieder eintreten. Denn Polen und Ungarn blockieren weiter die Zustimmung. Was ein solcher Nothaushalt bedeutet.
- Die Fristen rund um den EU-Haushalt rücken näher, doch Ungarn und Polen sträuben sich weiter, dem Finanzpaket zuzustimmen.
- Sollte 2021 erst einmal ein Nothaushalt nötig werden, gibt es dafür klare finanzielle Spielräume.
- Ein Großteil der Förderprogramme laufen 2020 aus. Auch die Corona-Hilfsfonds können weiterhin nicht fließen.
Straßburg/Brüssel - Wenn es ums Geld geht, wird häufig gestritten. Das kennen die EU-Regierungschefs seit Jahren. Doch die aktuelle Blockade durch Ungarn und Polen bei der Beschließung des EU-Haushalts kommt mitten in der Corona-Krisenzeit. Viele EU-Länder sind auf die Corona-Hilfen dringend angewiesen. Aber die zwei Mitgliedsstaaten stören sich an einem Rechtsstaatsmechanismus, weshalb gerade gar nichts vorangeht.
Statt eines 1,8 Billionen Euro schweren Finanzpakets für die nächsten sieben Jahre könnte es deshalb ab Januar erst einmal einen Nothaushalt geben. Eine Einigung muss deshalb in den kommenden Tagen her.
Am Montag, 7. Dezember, um Mitternacht läuft die Frist für die Annahme des EU-Haushalts für 2021 ab, für den ein Volumen von knapp 165 Milliarden Euro vorgesehen ist. Ohne grünes Licht für den übergeordneten mehrjährigen Finanzrahmen vor diesem Termin kann die EU ab dem 1. Januar nur noch mit einem Nothaushalt arbeiten. Die EU-Verträge sehen dann ein Budget im Umfang des Vorjahres vor. Pro Monat steht ein Zwölftel des Jahresbetrags zur Verfügung.
EU-Haushalt weiter auf der Kippe: Nothaushalt droht
Ob es zu dem Nothaushalt kommt, könnte schon am Mittwoch feststehen. Die EU-Botschafter entscheiden dann, ob weitere Verhandlungen mit dem Europaparlament über den Haushalt 2021 noch sinnvoll sind. Bisher gibt es keine Anzeichen, dass Ungarn und Polen von ihrem Veto abrücken.
Die Hilfen aus dem 750 Milliarden Euro schweren Corona-Hilfsfonds würden dann fehlen. Zudem läuft 2020 mit der aktuellen siebenjährigen Haushaltsperiode auch ein Großteil der Förderprogramme aus und damit die rechtliche Grundlage für die Ausschüttung der Budgetmittel.
Bereits zugesagte Gelder etwa für Erasmus-Studenten sowie zugewiesene, aber nicht verwendete Mittel könnten dann noch ausgezahlt werden. Nach Schätzungen von Experten haben viele Länder, darunter auch Ungarn und Polen, große Teile der ihnen zustehenden Mittel etwa aus den milliardenschweren Strukturfonds in der laufenden Haushaltsperiode noch nicht abgerufen. Einige Programme könnten so eventuell noch Monate oder sogar Jahre weiterlaufen. Insgesamt würden die Zahlungen aber nach und nach abnehmen.
Nothaushalt für die EU: Umstände sind einzigartig in der Geschichte
Sonderregelungen im Fall eines Nothaushaltes gibt es bislang für humanitäre Hilfe, die Verwaltungskosten der EU sowie für die Agrarhilfen, für die aus anderen Gründen bereits eine Verlängerung der aktuellen Programme um zwei Jahre beschlossen worden war. Derartige Beschlüsse sind auch in anderen Bereichen denkbar, wurden von der Kommission bislang aber nicht vorbereitet. Neue Programme könnten nur mit erheblichem Aufwand und entsprechender Verzögerung aufgelegt werden.
Diese Situation wäre bislang einzigartig in der Geschichte der EU. Zwar ist es in Ermangelung einer Budgeteinigung bereits einige wenige Male zu Nothaushalten gekommen - zuletzt 1988. Allerdings gab es dies noch nie zum Ende einer mehrjährigen Haushaltsperiode mit den damit verbundenen Problemen aufgrund der auslaufenden Programme - noch dazu inmitten einer europaweiten Gesundheitskrise mit schweren wirtschaftlichen Verwerfungen.

Verzögerungen um EU-Haushalt sind jetzt schon klar - Olaf Scholz gibt sich „unverändert zuversichtlich“
Selbst eine rasche Einigung mit Polen und Ungarn nach dem 7. Dezember würde deutliche Verzögerungen bedeuten. Mit Verstreichen der Frist muss die EU-Kommission in jedem Fall einen neuen Vorschlag für den Jahreshaushalt 2021 unterbreiten, Parlament und Mitgliedstaaten müssen jeweils ihre Position neu festlegen und die gemeinsamen Verhandlungen erneut aufnehmen.
Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD*) sagte unterdessen nach Beratungen mit seinen EU-Kollegen, er sei „unverändert zuversichtlich“, dass es „bald“ eine Verständigung mit Ungarn und Polen geben werde. „Ich bin sicher, dass niemand so unklug sein wird zu verhindern, dass es jetzt zu Entscheidungen kommt.“ EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) hatte Polen und Ungarn zuletzt zur Aufgabe der Blockade aufgefordert. Der nächste Gipfel der EU-Staats- und Regierungschefs soll am 10. und 11. Dezember stattfinden. (AFP/cibo) *Merkur.de ist Teil des Ippen-Digital-Netzwerks.